Nahezu tankstellenfreies Leben

Ja, nicht jeder kann es, aber ich möchte hier mal schreiben, wie es gehen kann: Das nahezu tankstellenfreie Leben.
Trauriger Anlass dieses Textes ist indirekt der Ukraine-Krieg und damit die stark gestiegenen Treibstoffpreise und dass das in allen sozialen Medien das derzeit Thema ist.
Wie war es bei uns, 4-köpfige Familie, als wir 2016 unser Auto ersatzlos verkauft haben.
Der Automechaniker meinte, dass der nächste TÜV vom 16-Jahre-alten Ford nicht klappen würde. Also verkauften wir ihn.
Es lief als Experiment: Können wir ohne Auto auskommen? Da es zum Glück keine finanzielle Frage war, wussten wir, dass es notfalls einen Weg zurück gab.
Der Ford stand allerdings vorher schon oft ungenutzt herum und wurde nur zu den wöchentlichen Familieneinkäufen ausgeführt. Gependelt habe ich ohnehin mit der Bahn.
Was haben wir für den Schritt benötigt?
Da ist zunächst die Wahl des Ortes: Brühl hat drei Bahnlinien, die nach Köln führen. Zudem hat Brühl die richtige Größe: groß genug, dass man den täglichen Bedarf vorfindet und dass man alles mit dem Rad erreichen kann.
Gut, die Voraussetzungen waren gegeben. Und dann?
Direkt nach dem Autoverkauf haben wir einen Radanhänger gekauft, in den zwei Getränkekisten oder alternativ etwa eine 2/3 Kofferraumladung passt.
Ich habe mir alle verfügbaren Räder angeschaut und einsatzbereit gemacht – wenn man nicht auf Räder angewiesen ist, sind schon mal Bremsen und Lichter verstellt.
Wir haben uns einen Carsharing-Anbieter gesucht.
Und wir haben uns ein Budget gegeben: Die Kosten des Fords waren bei unserer Nutzung etwa 150€/Monat inkl. Wertverfall und Reparatur. Das war das Geld, was wir uns für Mobilität eingestanden haben – dazu gehört dann eben auch das Taxi, was vielleicht mal nötig ist.
Entscheidend ist aber auch das Umdenken: Mobilität außerhalb des Radradius ist zu planen: Entweder Auto reservieren, Fahrkarte besorgen – Fahrplan checken oder irgendwie anders improvisieren.
Die Alltagsfahrten, also das Pendeln und Einkaufen, waren abgedeckt, aber es waren die Ausflüge mit dem Kindergarten, die Auswärtsspiele der Kinder und die woanders stattfindenden Kindergeburtstage, die eine Herausforderung waren und sind. Individuelle Mobilität wird manchmal einfach vorausgesetzt.
Profitiert haben wir davon, dass wir eine Minderheit sind: die meisten Menschen haben ein Auto und können jemanden mitnehmen. Es ist sogar so, dass einige unser Projekt-Autofrei gern unterstützen und uns dann dieses Problem der fehlenden mobilen Spontanität abnehmen. (Vielen Dank dafür!)
Und nun?
Wir haben 5 Fahrräder, 1 Tandem, mehrere Roller, ein Jobticket, kein Carsharing mehr, aber eine private Ausleihoption und Kinder, die sich sehr gut per Rad im Straßenverkehr zurechtfinden.
Man merkt, dass Straßen nicht (mehr) für den Radverkehr ausgelegt sind, seit vor knapp 90 Jahren das Auto die dominante Form der Fortbewegung wurde. Trotzdem ist es schöner, mit dem Rad zu fahren und über Autofahrer zu schimpfen als im Auto zu sitzen uns zu überlegen, ob man die durchgezogene Linie überfährt, um den Radfahrer schnell zu überholen.
Manchmal ist es eine Last, der untergeordnete Verkehrsteilnehmer zu sein.
Trotzdem, ein Auto ist zur Zeit für uns keine Alternative.
Und so fahren wir an Tankstellenschildern vorbei und haben nicht die gleiche Betroffenheit wie Autonutzer. Sicherlich wird sich das auch in Bahnticketpreisen niederschlagen, aber auch die Bahn ist nur ein Puzzlestück in unserem Mobilitätskonzept.
Und das Mobilitätskonzept bleibt für uns nahezu tankstellenfrei.